Offener Unterricht
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Falko Peschel

Autor: Falko Peschel

Stufenmodell des Offenen Unterrichts

Abschließend sei noch ein Stufenmodell für Offenen Unterricht vorgestellt (vgl. dazu auch Brügelmann 1997), das sich aus der quantitativen Verbreitung der Bemühungen um die Öffnung des Unterrichts ergibt. Wie schon im Basisartikel angesprochen, findet man in der Praxis die organisatorische Öffnung mit Abstand am häufigsten vor. Raum, Zeit und Sozialform werden vom Lehrer ganz oder teilweise freigegeben, hingegen sind Inhalt, Methode und Material weitgehend festgelegt.

Unserer Verständnis von Offenem Unterricht würde allerdings die Loslösung von den Materialvorgaben als Ausgangsbedingung jeglicher Öffnung ansehen: Öffnung ist nur da vorhanden, wo der Schüler wirklich methodische Freiheit hat und auf seinem eigenen Weg lernen kann — mit "Fehlern", "Umwegen" und "Sprüngen". Material und Lehrer müssen dem Weg des Schülers folgen, nicht umgekehrt. Deshalb stellt die organisatorische Öffnung der im Basisartikel angesprochenen Unterrichtsformen allein noch gar keine "richtige" Öffnung dar. Bei einem Verzicht auf die methodische Öffnung wird der traditionelle Unterricht auch bei organisatorischer Öffnung (Freigabe von Zeit/ Raum/ Sozialform etc.) oder bei inhaltlicher Öffnung (Auswahl des Materials/ Themas durch den Schüler) lediglich von einem lehrerzentrierten zu einem im Prinzip genauso geschlossenen "materialzentrierten" Unterricht. Schülerzentrierter wird hier nichts — zumindest nicht im Bezug auf die Prinzipien, welche die Lernpsychologie bzw. die Fachdidaktiken für Unterricht fordern: Der eigene Weg zum Wissenserwerb wird durch die meisten der verwendeten Arbeitsmittel genauso blockiert bzw. unterbunden wie auch ein durch den Schüler selbst getragenes interessegeleitetes Lernen.

In diesem Sinne stellt die methodische Öffnung Grundbedingung für jegliche qualitative Öffnung dar. Sie basiert auf der konstruktivistischen und lernpsychologischen Annahme, dass Lernen ein eigenaktiver Prozess ist.

Die nächste Stufe ist die Erweiterung um die inhaltliche Dimension. Grundlage hierfür ist der Ansatz des interessebezogenen Lernens, d. h. man lernt am schnellsten und einfachsten (und meist sogar ohne es als "Lernen" zu empfinden), wenn man sich selber für einen Gegenstand interessiert. Für den Unterricht bedeutet das, dass nicht nur die Lernwege, sondern auch die Inhalte vom Lehrer freigegeben werden.

Stufen der Öffnung von Unterricht

Stufe 0: Die organisatorische Öffnung 
als Vorstufe "Geöffneter Unterricht" - nicht "Offener Unterricht"
Organisatorische Öffnung durch "Differenzierung von oben" (durch den Lehrer). 
Arbeitsformen: Freie Arbeit, Wochenplan, Werkstätten, Stationen etc.
Lernen muss Passung haben (lernpsychologisch-didaktische Begründung).
Stufe 1: Die methodische Öffnung 
als Grundbedingung für jeden "Offenen Unterricht"
Methodische Öffnung durch "Individualisierung von unten" (durch den Schüler). 
Arbeitsformen: Reisetagebücherunterricht (Ruf/ Gallin 1998)
Lernen ist ein eigenaktiver Konstruktionsprozess des Einzelnen (lern- und ent-wicklungspsychologische Begründung).
Stufe 2: Die methodische und inhaltliche Öffnung 
als weitgehende Umsetzung eines "Offenen Unterrichts"
Zusätzlich zur methodischen auch inhaltliche Öffnung durch stoffbezogene Mit- / Selbstbestimmung bzw. interessegeleitetes Lernen des Schülers. 
Arbeitsformen: "Didaktik des weißen Blattes" (Zehnpfennig 1992; Peschel 2002)
Lernen ist am effektivsten, wenn es vom Lernenden als selbstbestimmt und signifikant erlebt wird (lern- und motivationspsychologische Begründung).
Stufe 3: Die soziale Öffnung  
ist die Öffnung des Unterrichts in Richtung Demokratie und Selbstverwaltung
Soziale/ persönliche Öffnung durch Basisdemokratie und Schülermitgestaltung (Unterrichtsablauf, Rahmenbedingungen, Regelstrukturen etc.)
Arbeitsformen: "Didaktik der sozialen Integration" (Peschel 2002)
Soziale Erziehung ist am effektivsten, wenn die Strukturen vom Einzelnen selbst mitgeschaffen und als notwendig/ sinnvoll erlebt werden (bildungstheoretisch-politische Begründung).

Die sozial-integrative Öffnung ist schließlich als Ergänzung eines jeden Unterrichts auf der Ebene des sozialen Miteinanders zu verstehen. Sie ermöglicht nicht nur das Bilden eigener Regel- und Sozialstruktur, sondern verhindert auch, dass Kinder, die — biographiebedingt — eben nicht in das von außen vorgegebene Raster passen oder sich nicht so schnell anpassen können, zuerst "segregiert" bzw. zu Außenseitern werden (vgl. Peschel 2001).

Literatur:

Brügelmann, Hans: Die Öffnung des Unterrichts muss radikaler gedacht, aber auch klarer strukturiert werden. In: Balhorn, Heiko/ Niemann, Heide (Hrsg.): Sprachen werden Schrift. Lengwil (Libelle) 1997 (S. 43-60)

Peschel, Falko: Offener Unterricht ist präventiver Unterricht — Präventiver Unterricht ist Offener Unterricht. In: Lumer, Beatrix (Hrsg.): Integration behinderter Kinder. Berlin (Cornelsen Scriptor) 2001 (S. 74-88)

Peschel, Falko: Öffnung des Unterrichts - ein Stufenmodell. In: Bartnitzky, Horst/ Christiani, Reinold (Hrsg.): Berufseinstieg: Grundschule. Leitfaden für Studium und Vorbereitungsdienst. Berlin (Cornelsen Scriptor) 2002

Peschel, Falko: Offener Unterricht — Idee, Realität, Perspektive und ein praxiserprobtes Konzept zur Diskussion. Teil I: Allgemeindidaktische Überlegungen. Teil II: Fachdidaktische Überlegungen. Baltmannsweiler (Schneider Verlag Hohengehren) 2002

Reinhardt, Astrid: Wirkungen und Vorteile des ISP. Unv. Manuskript. Troisdorf 2001

Ruf, Urs/ Gallin, Peter: Dialogisches Lernen in Sprache und Mathematik. Seelze-Velber (Kallmeyer) 1998

Zehnpfennig, Hannelore/ Zehnpfennig, Helmut: Was ist "Offener Unterricht". In: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hrsg.): Schulanfang. Soest (Landesinstitut für Schule und Weiterbildung) 1992 (S. 46-60)

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